Freie Software: Freiheit ist nicht immer ganz einfach!

„Ein Programm nach eigenen Belieben ausführen und für jeden Zweck gebrauchen zu können“ oder aber „die Vorzüge eines Programmes nutzen, auch ohne vertieftes, technisches Verständnis oder Unterstützung durch Experten“?

Ostern. Es regnet. Zeit also, um sich etwas mit den philosophischen Aspekten der Software, die wir jeden Tag nutzen, auseinanderzusetzen.

Was ist Freie Software?

Die Freie-Software-Definition der Free Software Foundation beschreibt auf der entsprechenden Seite im Netz, was freie Software überhaupt ausmacht. Zusammengefasst ergeben sich folgende vier Punkte:

Ein Programm ist Freie Software, wenn Programmnutzer vier wesentliche Freiheiten haben:

  • Die Freiheit, das Programm auszuführen wie man möchte, für jeden Zweck (Freiheit 0).
  • Die Freiheit, die Funktionsweise des Programms zu untersuchen und eigenen Bedürfnissen der Datenverarbeitung anzupassen (Freiheit 1). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.
  • Die Freiheit, das Programm weiterzuverbreiten und damit seinen Mitmenschen zu helfen (Freiheit 2).
  • Die Freiheit, das Programm zu verbessern und diese Verbesserungen der Öffentlichkeit freizugeben, damit die gesamte Gemeinschaft davon profitiert (Freiheit 3). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.

Usability: Die Benutzererfahrung

Nicht jeder ist technisch so versiert wie Richard Stallman und seine Kollegen. Nicht jeder ist in der Lage, Programmcode zu lesen oder selber zu schreiben. Somit ist also nicht jeder in der Lage die freie Software auch wirklich in dem Sinne zu nutzen, wie die Free Software Foundation das gerne hätte.

Welchen Sinn macht es aber, freie Software zu propagieren, die nur von einem gewissen Anteil an Computerbenutzern auch verstanden wird und zweckgemäss verwendet werden kann?

Die Freiheiten sind quasi so radikal zu Ende gedacht, dass die Zugänglichkeit darunter leidet. Wohl kaum ein durchschnittlicher User wird sich die Mühe machen wollen, zuerst Programmierkenntnisse zu erlangen, bevor ein Programm benutzt werden kann.

Ich möchte betonen, dass ich damit nicht sagen will, Richard Stallman sei falsch gelegen, als er die vier Freiheiten festgelgt hat. Vielmehr hat er seinen eigenen Blickwinkel. Oder sagen wir Fokus. Genau wie jeder andere von uns auch. Wir alle betrachten die Welt durch unsere eigenen Augen. Wir alle besitzen eigene Fähigkeiten. Der Eine kann vielleicht besser programmieren, der Andere vielleicht künstlerisch gestalten. Und beide werden eine etwas andere Sicht auf die Welt haben.

Richard Stallman ist ein intelligenter Programmierer und Visionär der Free-Software-Bewegung. Quellcode liest er in etwa so, wie andere diesen Artikel lesen können. Nicht jeder ist Richard Stallman, oder sagen wir: nicht jeder besitzt die Fähigkeit, mit Quellcode so umzugehen, wie Stallman und seine Kollegen.

Software ist nutzlos, wenn wir sie nicht gebrauchen, weil wir den Sinn dahinter gar nicht erkennen können. Oder viel zuviel Aufwand betreiben müssen, um sie zu nutzen. Es geht auch um Geschicklichkeit, sich neue Technologien anzueignen. Niemand kann erwarten, dass alle sich derart tiefgründig mit dem komplexen Thema freie Software und Sourcecode auseinandersetzen. Die wenigsten haben nämlich die Zeit dafür – oder das Verständnis.

Kommen wir also zurück zu Punkt eins der vier Freiheiten:

„Die Freiheit, das Programm auszuführen wie man möchte, für jeden Zweck“.

Ich schlage nun vor, dass wir einen alternativen Punkt eins in Erwägung ziehen:

„Die Freiheit, die Vorzüge eines Programmes zu nutzen, auch ohne vertieftes, technisches Verständnis oder Unterstützung durch einen Experten“.

Siehst Du den Unterschied?

Bei der Entwicklung von freier Software und Betriebssystemen sollte also darauf geachtet werden, dass die Zugänglichkeit gewährt bleibt. Die Entwickler sollten daran denken, dass möglichst viele Menschen ihre Software gerne benutzen wollen und nicht jeder einzelne die Zeit, die Energie, das Verständnis, die Begabung etc. hat, komplizierte Programme zu benutzen. Usability sollte nicht zu kurz kommen. Ein Programm sollte kurz gesagt, seinen Dienst tun – dabei aber gut benutzbar bleiben.

Es stellt sich die einfache Frage: „Kann jeder das Programm nutzen (auch technisch nicht so versierten Kollegen, Nachbarn, Familie) – ohne die Hilfe eines Experten?“

Wenn die Antwort auf diese Frage „Nein“ lautet, sollte das Programm oder die Software evtl. noch etwas benutzerfreundlicher gestaltet werden, so dass die Usability und die Nutzererfahrung nicht unter der Freiheit zu leiden hat.

Ein Kommentar zu „Freie Software: Freiheit ist nicht immer ganz einfach!

  1. Die Usability ist ohne Zweifel sehr wichtig, aber kein Freiheitsaspekt im engeren Sinne.
    Apfelprodukte sind bis zu einem gewissen Punkt sehr benutzerfreundlich, aber gerade darin liegt der goldene Käfig. Sobald man zB. einen SMTP-Server RFC-konform auf Port 587 abfragen will, ist die Usability zuende. Auch Windows-Anwendungen halten viele für benutzerfreundlich.

    Usability ist daher weder notwendiges noch hinreichendes Kriterium für “Freiheit“ von Software.

    Sie ist allerdings hilfreich und wohl auch notwendig, damit Nichtnerds überhaupt von freier Software profitieren können. Usability hilft dabei, kann aber nicht die Auseinandersetzung mit den Funktionen und zB Sicherheitsfragen ersetzen. Die ständige Gratwanderung zwischen Bequemlichkeit und (zB) Sicherheit setzt eine Kenntnis der Alternativen und der jeweiligen Privatsphärekosten voraus. Da
    ist es wie mit der Demokratie – Freiheit ist nunmal anstrengend. Wer sagt “es ist mir egal, wie es funktioniert und was es sonst so tut“, hat keine wirkliche Vorstellung davon und wird nicht freier, wenn die Software einfacher ist.

    Auch wenn Usability sicher ein Wert (neusprech: asset) und als solcher hochrangig ist, würde ich sie deshalb nicht als “Freiheit“ im Sinne eines Teilhaberechts einordnen. Sie ist mehr die Ableitung aus der Freiheit 0.

    Aber danke für den Denkanstoß.

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